19. April 2012 in St. Petri, Oyten: Stockholm Lisboa Project


Achimer Kurier, 23.4.2012: 

Weltmusik im allerbesten Wortsinn

Von Susanne Ehrlich


Fado und schwedische Folklore - wie geht das zusammen? Das Stockholm-Lisboa-Project bewies am Donnerstagabend in der Oytener St.-Petri-Kirche, dass nordische Kühle und mediterranes Temperament eine überaus harmonische Beziehung eingehen können. Im aprilkühlen Gotteshaus heizten die vier sympathischen Musiker dem Publikum ordentlich ein und wurden mit ebenso temperamentvoll geäußerter Begeisterung gefeiert.


Oyten. Die Kulturinitiative Domino der evangelischen Kirchengemeinde hatte sich dieses exklusive Konzert zum 150. Geburtstag ihres Gotteshauses sozusagen selbst zum Geschenk gemacht. Pastor Joachim Dallmeyer betonte bei der Begrüßung der Musiker, dass jede Musik, die in dieser Kirche erklinge, als Gottesdienst betrachtet werden könne.


Das Stockholm-Lisboa-Project besteht aus dem schwedischen Folkmusiker Simon Stålspets, der bereits in vielen namhaften Bands spielte, sowie dem portugiesischen Jazzmusiker Filip Jers, der den weltweit einzigen Bachelor der Bluesharp besitzt, dem rein klassisch ausgebildeten Geiger Sérgio Chrisóstomo und der stimmgewaltigen Sängerin Micaela Vaz, die dem traditionellen portugiesischen Fado verbunden ist.

Steht im Fado sonst auch der Gesang im Vordergrund, so ist in dieser Kombination, gleichsam mit drei Melodieinstrumenten, die Begleitung nicht einfach nur Hintergrund. Die Instrumente dienen vielmehr als Partner der Sängerin, geben vielschichtige Kommentare oder verschlingen sich zu hinreißend schönen Harmoniegebäuden.

Ein Hingucker ist die imposante Bassharp, die so tiefe Töne fabriziert, wie man sie noch nie gehört zu haben meint: vibrierend, warm und den Raum machtvoll erfüllend. Filip Jers wechselt die Harps in jedem Stück, setzt sie mal rhythmusbetont und mal solistisch ein, wobei sie wahlweise zum klagenden Saxofon, zur Zwillingspartnerin der Violine oder zur jauchzenden und schluchzenden Leadgitarre werden können - traumhaft schön und wirklich etwas ganz Besonderes.

Simon Stålspets ist mit der Mandoline zwar für den Rhythmus zuständig, aber damit gibt er sich nicht zufrieden und liefert dem Publikum eine Fülle wundervoll zart gepickter Soli voll perlender Arpeggien und Akkorde. Er greift mal zum urtümlichen skandinavischen Wikingerhorn, auf dem er eine an das Schofarblasen des Rabbi gemahnende Melodie intoniert oder zur Obertonflöte, deren Tonreihen nur durch die Anblasstärke entstehen, die mittels eines Lochs am unteren Ende noch ein zweites Register erhält und deren Klangfarbenzauber voll Mystik und besonderer Faszination ist.

Unbeschwert und bodenständig zugleich sind die Geigenkantilenen Chrisóstomos, die sich in dieser direkten und lebendigen Musik mit 3000 Kilometern geografischer und einer Erdumkreisung musikalischer Spannweite zu immer neuer und überraschender Vielfalt und Ausdruckskraft entfalten.

Die Lieder, die Micaela Vaz mit tiefem Ernst und blutvoller Leidenschaft gestaltet, sind eigentlich reinster Fado, doch weicher, interessanter und gleichsam gezähmt durch den intensiven harmonischen Rahmen, in den die Harps und die Violine ihn fassen. Ebenso schön wie die mal melancholischen, mal lauthals klagenden und mal weltvergessen sinnierenden Lieder sind die reinen Instrumentalstücke voll ausgelassener Phantasie und Melodienströmen, unwillkürlich beeinflusst von Latin und Jazz ebenso wie von nordischer und Fiddlerfolklore, Klezmer, orientalischer Chromatik und Balkanfeuer: Weltmusik im allerbesten Sinne des Wortes, die das Publikum mit ihrer Musizierfreude buchstäblich vom Hocker riss. Diese Musik, in der sich die zwei gegensätzlichen Pole so wunderbar anziehen und ergänzen, lässt Musikfreunde aller Genres aufhorchen. Nicht umsonst errang die aktuelle CD "Diagonal" den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Auch das Oytener Publikum ließ sich gern mitreißen.